Konzept des Klassenrats
Soziale Kompetenzen müssen nicht nur vermittelt werden. Das Wissen darum, wie ich mich verhalten sollte, muss sich im Alltag bewähren.
Nichts ist leichter, als darüber zu sprechen, wie ich in einem Streit reagieren soll und kurze Zeit später, im Gefühl des Zorns doch wieder impulsiv in einem Kreis aus Aktion und Reaktion festzustecken.
Die Schülerinnen und Schüler, die zu uns in die 5. Klasse kommen, kennen sich in der Regel noch nicht. Das bedeutet unbekannte Gesichter, unbekannte Charaktere, unbekannte Grenzen und unbekannte Verhaltensmuster. Erwachsene kennen dieses Gefühl und bewegen sich im Allgemeinen eher vorsichtig in einer fremden Umgebung mit fremden Mitmenschen. Kinder dagegen nehmen meistens viel schneller Kontakt auf.
Es ist völlig normal, dass Schüler in der 5. und 6. Klasse noch sehr viel körperlich interagieren. Sie rangeln und rempeln sich im Spiel oft an, testen Grenzen aus und bewegen sich eher bedenkenlos mit viel körperlichem Kontakt. Die meisten Streitereien haben ihre Ursache im Spiel miteinander. Was in den Pausen entsteht, wird mit in den Unterricht getragen und beeinflusst Konzentration, Leistungsvermögen und das allgemeine Wohlbefinden in der Klassengemeinschaft.
In der Hermann-Voss-Realschule haben wir gemerkt, dass dies einen Raum benötigt. Zeit zum Sprechen und dem beständigen Abgleich zwischen dem oben genannten Wissen, wie ich mich verhalten sollte und warum es an dieser oder jener Stelle nicht funktioniert hat. Der Klassenrat ist dafür ein ausgezeichnetes Mittel.
Die Schüler lernen hier, dass es immer zwei Sichtweisen gibt. Dass, wenn ich eine Grenze überschreite, hinter dieser Grenze andere Menschen sind, die genauso wenig verletzt oder beleidigt werden wollen, wie ich selbst. Verantwortung ist hier ein ganz wichtiges Thema. Wenn ich bereit bin, zuzugeben, was mein Anteil an dem Konflikt war, kann ich einen Streit manchmal sogar in wenigen Augenblicken klären.
Die Struktur ist immer gleich:
- Der Betroffene hat das Wort.
- Der Beschuldigte hat das Wort.
- Die Zeugen haben das Wort. (Eine ideale Klärung kommt ohne Zeugen aus!!)
- Was ist hier eigentlich passiert: Bewertung durch die ganze Klasse.
- Wiedergutmachung.
Wenn die eigenen Bemühungen, sich nach einem Konflikt zu einigen, nicht zum Erfolg führen, kann der Streit in der KFÖ - Stunde besprochen werden. Je nach Relevanz für den Rest der Klasse kann dies im Raum oder mit den Betroffenen außerhalb des Raumes geklärt werden.
Im Klassenrat wird eine Atmosphäre geschaffen, die Ehrlichkeit honoriert und das Verständnis für die Sicht des anderen fördert. Ich verliere hier nicht mein Gesicht, wenn ich einen Fehler zugebe, sondern bekomme sogar Applaus von den anderen.
In einer zunehmend egoistischer werdenden Welt halten wir es für wichtig, dass Kinder zu verantwortungsvollen Erwachsenen werden können, die sich selbst behaupten können, aber den anderen dabei nicht ignorieren oder gar niederdrücken müssen. Und natürlich sehen wir auch die positiven Effekte für den Unterricht. Kinder, die sich in der Klasse wohl fühlen, lernen leichter. Und Lehrer, die sich auf den Unterricht konzentrieren können, statt einen Streit aus der Pause zu klären, lehren leichter.
Viele große Probleme fangen klein an. Im Klassenrat hat der Klassenlehrer die einzigartige Möglichkeit in die Klasse "hineinzuhorchen". Weichen können früher gestellt werden und nicht erst, wenn Probleme an anderen Stellen sichtbar werden.
Neben der Klärung von Streitigkeiten werden aber auch organisatorische Klassengeschäfte abgewickelt. Die Klasse bekommt die Möglichkeit, über das allgemeine Befinden und das Klassenklima zu sprechen. Wünsche können geäußert werden. Und wenn die Zeit es zulässt, werden teamfördernde Spiele gespielt.
Mit Hilfe unseres theoretischen Überbaus der Inhalte des Lions-Quest-Konzeptes können weitere Themenschwerpunkte gesetzt und mit den Schülerinnen und Schülern bearbeitet werden. Was bedeutet Freundschaft für mich? Wie übe ich Kritik? Wie spreche ich höflich fremde Erwachsene an? Wie erkennt man, wie das Gegenüber sich fühlt? Die Dynamik in einer Klassengemeinschaft zeigt den Klassenlehrerinnen und -lehrern den Weg zu den Themen, die aktuell in der Klasse „wichtig“ werden.
Ein letztes wichtiges Merkmal des Miteinander kann die Einführung und der Gebrauch der STOPP-Regel sein. Wenn andere meine Grenze nicht immer erkennen können, muss ich sie deutlich markieren. Das Ziel des Klassenrates ist es ja NICHT, alle Konflikte für die Schüler zu lösen. Es werden Wege gezeigt, wie man im Konflikt selbst und danach miteinander umgehen kann, um den Streit zu klären. Der Klassenrat ist das Sicherheitsnetz und die Trainingsbühne für unsere sozialen "Akrobaten".